Ein Influenzaimpfstoff (synonym Grippeimpfstoff) ist ein Impfstoff gegen das Influenzavirus. Influenzaimpfstoffe werden zur Grippeimpfung (Influenzaimpfung) eingesetzt.
Eigenschaften
Influenzaimpfstoffe sind gereinigte Antigene, Spaltimpfstoffe, inaktivierte Viren oder attenuierte Viren. Aufgrund der vergleichsweise hohen genetischen Variabilität durch Antigenshift und Antigendrift (als Mechanismen der Immunevasion) der Influenzaviren sind die in einem Impfstoff wirksamen Epitope oftmals nicht in den Influenzaviren der folgenden Saison vorhanden. Daher ist die Wirksamkeit der zugelassenen Influenzaimpfstoffe auf Viren begrenzt, die dem Impfstamm ähneln, und es besteht nur eine geringe Immunität gegen andere Influenzastämme. Weiterhin gibt das Paul-Ehrlich-Institut jedes Jahr gemäß den aktuellen Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation und des Ausschusses für Humanarzneimittel bei der Europäischen Arzneimittelagentur aktuelle Referenzstämme für saisonale Influenzaimpfstoffe in Deutschland heraus, auf deren Grundlage die Impfstoffherstellung angepasst wird. Aufgrund der Variabilität ändern sich diese Empfehlungen nahezu in jedem Jahr, bezüglich eines oder mehrerer Stämme. Die Referenzstämme umfassen für die üblichen dreiwertigen (trivalenten) Impfstoffe zwei Influenza-A-Viren und ein Influenza-B-Virus, für vierwertige (quadrivalente, tetravalente) Impfstoffe ein zweites Influenza-B-Virus. Dagegen enthalten pandemische Influenzaimpfstoffe wie diejenigen gegen eine hochpathogene Variante des Influenza-A-Virus H5N1, als Auslöser der Vogelgrippe H5N1, oder gegen den Stamm A/California/7/2009 (H1N1)pdm09 des Influenza-A-Virus H1N1, als Auslöser der Pandemie H1N1 2009/10, nur einen Impfstamm. Da die ursprünglich pandemischen H1N1-Virusstämme seit 2010 (mit der üblichen Variabilität) weltweit als saisonale Grippe zirkulieren, gehören sie seit 2010 zu den Referenzstämmen für saisonale Influenzaimpfstoffe. Influenza-Impfstoffe befinden sich auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation.
Immunologie
Influenzaimpfstoffe erzeugen neutralisierende Antikörper, die eine erneute Infektion von Zellen mit demselben Virusstamm verhindern. In geringem Umfang sind diese Antikörper kreuzreaktiv mit anderen Influenzastämmen. Die Antikörper werden vor allem gegen das humoral immundominante Hämagglutinin und die Neuraminidase gebildet. Diese Antikörper können im Zuge einer virologischen Diagnostik zur Bestimmung des Titers im Geimpften oder des Impfstoff-Serotyps verwendet werden. Gereinigte Antigene, gespaltene oder inaktivierte Influenzaimpfstoffe werden nicht in Zellen aufgenommen, weshalb keine ausgeprägte zelluläre Immunantwort entsteht.
Nebenwirkungen
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen von Influenzaimpfstoffen umfassen Schmerzen und Schwellung an der Einstichstelle und eintägiges Fieber. Der Schweinegrippeimpfstoff Pandemrix in der von 2009 bis 2010 verabreichten Zusammensetzung konnte vermutlich, in seltenen Fällen, zu Narkolepsie führen, während die Konkurrenz-Impfstoffe wie Focetria nicht betroffen waren.
Herstellung des Impfstoffs
Nährmedien
Die Anzucht und Vermehrung der Viren zur Grippeimpfung erfolgt in unterschiedlichen Medien:
Hühnereier
Die Vermehrung des Virus erfolgt derzeit überwiegend in speziellen bebrüteten Hühnereiern, den „specific pathogen free eggs“, deren Alter 10–11 Tage beträgt. Im Februar des jeweiligen Jahres entscheidet die WHO über die Zusammensetzung des saisonalen Winter-Impfstoffes. Das sogenannte „Saatvirus“ der ausgewählten Virusstämme wird an die Hersteller gesandt. Der Hersteller führt, um optimale Ausbeuten zu erhalten, eine HG(High-Growth)-Reassortierung durch. Diese dauert ungefähr sechs Wochen. Das Influenzavirus vermehrt sich in der Chorio-Allantois-Membran. Die mit dem Influenzavirus beimpften (inokulierten) Eier werden drei Tage bei 32 °C bebrütet (inkubiert). In diesem Zeitraum vermehrt sich das Virus sehr stark. Die Eier werden geöffnet, und pro Ei werden 6–7 ml virushaltige Allantois-Flüssigkeit geerntet. Allerdings hat diese Art der Produktion Nachteile: Die Herstellung des Impfstoffes dauert ca. 6 Monate, der fertige Impfstoff liegt im Juni/Juli vor und wird jährlichen klinischen Studien unterzogen. Im Fall einer Influenza-Pandemie ist die großtechnische Produktion in Eiern durch den Bedarf an Millionen von Eiern nicht zu realisieren, da die Planung der hierfür nötigen logistischen Kapazitäten etwa 2 Jahre im Voraus benötigt. Zudem erfordern Ei-Impfstoffe eine komplizierte Aufreinigung und verursachen Nebenwirkungen, bei denen Ei-Protein-Allergien ein besonderes Problem darstellen. Ein weiteres Manko ist die Anfälligkeit des Produktionsprozesses für Kontaminationen und der deshalb nötige Einsatz großer Mengen Antibiotika. Pandemische Influenza-Stämme sind zudem sehr aggressiv; insbesondere Stämme aviären Ursprungs lassen sich nicht auf Hühner-Embryonen vermehren.
Zellkulturen
Eine Alternative ist die Produktion des Impfstoffs in Vero-Zellen oder MDCK-Zellen (englisch Madin-Darby Canine Kidney cells). Die Vorteile dieser Technologie liegen in der Kürze des Produktionsprozesses (durch Wegfallen der HG-Reassortierung) und den großen Produktionskapazitäten. Hierdurch kann auf schnell ansteigenden Bedarf kurzfristig reagiert werden. Die Kultivierung von Vero-Zellen erfolgt großtechnisch in Bioreaktoren mit einigen 1000 Litern Fassungsvermögen. Pandemische Stämme können mit hohen Ausbeuten vermehrt werden. Die Steriltechnik (Technik unter dem Gesichtspunkt der Sterilisierbarkeit und Reinigbarkeit der Anlagen, wie auch dem Rückhaltevermögen gegenüber Mikroorganismen oder biologisch aktiven Wirkstoffen) ermöglicht ein sicheres Design der Produktionsstätte. Das Hantieren mit pandemischen Influenzastämmen erfordert die Biologische Schutzstufe 3 (BSL-3; Bio safety level), welche für Ei-Facilities aufgrund des Prozessablaufes (schwierig zu automatisieren) nicht zu realisieren ist. Der von der Industrie zur Verfügung gestellte Grippeimpfstoff deckt gerade den durchschnittlich zu erwartenden jährlichen Verbrauch ab, sodass die WHO am 19. August 2005 für den Fall einer neuerlichen Pandemie ernsthafte Bedenken bezüglich einer drohenden Unterversorgung zum Ausdruck brachte.
Experimentelle Verfahren
Erforscht wird beispielsweise die Herstellung des Grippeimpfstoffes mit Hilfe von Wimperntierchen. Die Methode soll schneller und risikoärmer sein als der bisherige Standard.
Tot- und Lebendimpfstoffe
Je nach Art der weiteren Impfstoffzubereitung unterscheidet man wie bei Impfstoffen gegen andere Erreger auch beim Influenzaimpfstoff zwischen Totimpfstoffen und Lebendimpfstoffen.
Totimpfstoffe
Totimpfstoffe unterscheiden sich in der Zusammensetzung viraler Proteine, im Antigengehalt und der Art der eingesetzten Adjuvanzien. Sie werden unterteilt in:
- Inaktivierte Ganzpartikelimpfstoffe (auch: Vollvirusimpfstoff): Inaktivierung (Abtötung) der Viren mittels chemischer Stoffe/Stoffkombinationen, z. B. Formaldehyd, beta-Propiolacton und Psoralen. Die Virushülle bleibt dabei erhalten.
- (Inaktivierte) Teilpartikelimpfstoffe (auch: Spaltimpfstoff): Zerstörung (Spaltung) der Virushülle mit Detergentien oder starken organischen Lösungsmitteln. Die Viren können auch zusätzlich mit chemischen Stoffen inaktiviert (abgetötet) werden.
- Untereinheitimpfstoffe: die Oberfläche wird vollständig aufgelöst und spezifische Komponenten (Hämagglutinin- und Neuraminidase-Proteine) herausgereinigt. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Untereinheiten rekombinant herzustellen. Untereinheitimpfstoffe sind nur wenig immunogen, besitzen dafür aber geringe Nebenwirkungen.
Sogenannte „Hochdosis-Impfstoffe“ zählen zu den Spaltimpfstoffen und enthalten die vierfache Menge an Hämagglutinin-Antigen (60 µg), die Kultivierung der Viren erfolgte in Hühnereiern.
Lebendimpfstoffe
Bei der Herstellung von Lebendimpfstoffen gegen Influenzaviren werden Viren verwendet, die zwar attenuiert, aber noch vermehrungsfähig („vital“) sind: (englisch Live Attenuated Influenza Vaccine, LAIV ‚lebend-attenuierte Influenzaimpfstoffe‘). Hier wird unterschieden in
- kälte-adaptierte Stämme: diese Stämme sind nur bei Temperaturen um 25 °C zu Vermehrung fähig, was die Viren auf die oberen Atemwege beschränkt. Durch die fehlende Replikation in den unteren Atemwegen entwickeln sich nur milde Symptome, keine vollständige Influenza. Ein Beispiel ist der Stamm A/Leningrad/134/47/57 (H2N2)
- temperatur-sensitive Stämme: die Replikation dieser Stämme ist auf einen Temperaturbereich von 38–39 °C limitiert, es kommt auch hier nicht zum Befall der unteren Atemwege.
Diese Impfstoffe werden intranasal angewendet. Ihr Vorteil gegenüber den bisher gebräuchlichen Totimpfstoffen ist, dass die vitalen Viren das Immunsystem länger stimulieren und nicht nur eine humorale Immunantwort, sondern auch eine zelluläre Immunantwort bewirkt wird. Der Nachteil von Influenzaimpfstoffen aus noch vermehrungsfähigen Erregern ist, dass die Nebenwirkungen häufiger oder schwerer sind. So musste das Schweizer Zulassungsverfahren eines attenuierten Influenzavirus (Nasaflu) im Jahr 2001 aufgrund von Paresen der Gesichtsmuskulatur abgebrochen werden. Die in Deutschland verfügbaren Lebendimpfstoffe sind nur für Kinder zugelassen (Stand 2021).
Zukünftige Influenzaimpfstoffe
Die bisher zugelassenen Impfstoffe setzen an den Ausbuchtungen („Köpfen“, engl. heads) der Hämagglutinin-Moleküle auf der Oberfläche der Viren an. Diese Molekül-Region ändert sich aber durch Antigen-Shift und Antigen-Drift in weniger als einer Influenza-Saison. Das führt zu schwankender und durchschnittlich nur geringer Wirksamkeit der Impfstoffe und der Notwendigkeit, diese jedes Jahr neu zu testen, in Massen zu produzieren und an alle Ziel-Personen zu verimpfen. Die Gesundheitsbehörden der USA und der Europäischen Union unterstützen daher die Entwicklung eines „Universal-Impfstoffs“ gegen Influenza, der ähnlich wie die Impfstoffe gegen nahezu alle anderen Erreger nur noch selten angepasst und nachgeimpft werden müsste, sondern über mehrere Saisons hinweg ausreichend wirksam wäre. Ein Ansatz dazu sind Impfstoffe, die breitneutralisierende Anti-IAV-Antikörper gegen die extrazelluläre Domäne des Matrixproteins 2 (M2e) oder gegen einen bestimmten Bereich des Hämagglutinins (englisch stalk region, „Stiel-Region“ zwischen Kopf und Transmembrandomäne) induzieren. Sowohl die extrazelluläre Domäne des M2 als auch die Stielregion des Hämagglutinins sind zwischen den Subtypen der Influenzaviren wenig variabel (hoch konserviert). Daher wird ein hoher Selektionsdruck auf den Erhalt dieser Aminosäuresequenzen und deren Funktion vermutet, wodurch die Möglichkeiten zur Immunevasion der Influenzaviren eingeschränkt werden. An der Stielregion des Hämagglutinins ansetzende Impfstoffe werden seit 2018 an Versuchspersonen in Phase III untersucht. Weitere Ansätze zur Steigerung der Breitenwirksamkeit umfassen die Induktion von zytotoxischen T-Zellen und T-Helferzellen gegen konservierte Epitope mehrerer Stämme der Influenzaviren oder deren Konsensussequenz mit Hilfe von Vektoren, da zytotoxische T-Zellen von den Spaltimpfstoffen nur in geringem Umfang induziert werden. Daneben sind verschiedene RNA-Impfstoffe gegen Influenzaviren in Entwicklung, die als genetische Impfstoffe zytotoxische T-Zellen aktivieren können.
WHO: Empfehlung zur saisonalen Zusammensetzung der Impfstoffe seit 1998/1999
Influenzaimpfstoffe müssen jede Saison neu an die zirkulierenden Influenzaviren angepasst werden. Referenzlaboratorien auf der ganzen Welt – in Deutschland das am Robert Koch-Institut angesiedelte Nationale Referenzzentrum für Influenza – untersuchen dafür kontinuierlich die zirkulierenden Influenzaviren und übermitteln ihre Ergebnisse an die WHO. Die WHO empfiehlt dann üblicherweise für die Nordhalbkugel jeweils im Februar/März, für die Südhalbkugel jeweils im September eines Jahres auf Grund dieser Meldungen bestimmte Antigen-Kombinationen.
In Deutschland zugelassene Impfstoffe
Saison 2020/2021 Impfstoffe mit Stammanpassung für 2020/2021
Saison 2020/2021 Impfstoffe ohne Stammanpassung für 2020/2021
Saison 2017/2018
Bei den 10 Impfstoffen mit der Angabe 2017/2018 waren die Änderungen für die Saison 2017/2018 am 24. August 2017 bereits genehmigt.
Literatur
- D. M. Knipe, Peter M. Howley, D. E. Griffin (Hrsg.): Fields Virology. 5. Auflage. Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia 2007, ISBN 978-0-7817-6060-7.
Einzelnachweise




